Ohne Optimismus keine Pädagogik

Denn: jeglichem pädagogischen Tun liegt die Vorstellung von der Veränderbarkeit
des Menschen zu Grunde. Wer die Situation schlechter darstellt als sie ist und nur
noch Katastrophenszenarios malt oder wer dramatisiert und nur nach schärferen Gesetzen
ruft, ruft nach einer anderen Gesellschaft. Wer Zuwanderung gleichsetzt mit
Patriarchat, Analphabetentum und Terrorgefahr, verliert den Blick für eine herausfordernde
Realität. Das häufig verwendete „Man-Wird-Doch-Noch-Sagen-Dürfen“ führt
zum Polarisieren, Ausgrenzen und Vereinfachen (und nebenbei: zum Nicht-Zuhören).
Diese Haltung verdeckt somit den Blick zur differenzierten Wahrnehmung und zum
Erkennen von Aufgaben und Möglichkeiten. Kein Wunder also, dass in dieser Vorstellungswelt
nur Modelle von Ausgrenzung und Abschiebung existieren.
Unsere Gesellschaft wird auf lange Sicht eine Migrationsgesellschaft sein. Sie wird die
Fähigkeit besitzen müssen damit umzugehen, dass immer wieder Menschen neu dazu
kommen, mal mehr, mal weniger. Nur mit Bildung kann dieser Prozess gelingen.
Ohne Bildung wird weder Integration noch ein friedliches Zusammenleben und eine
Weiterentwicklung möglich sein. Bildung und Erziehung werden somit, neben der
ökonomischen und rechtlichen Weichenstellungen, Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung
dieser gesellschaftlichen Herausforderung sein.
Zurück zum Optimismus. Auf der Voraussetzung von Veränderbarkeit, basiert letztlich
jede Vorstellung von Pädagogik. Die Fähigkeit, zu lernen und sich somit zu verändern
und weiterzuentwickeln wurde schon vor 200 Jahren von Johann Friedrich Herbart
als „Bildsamkeit“ bezeichnet. Sie bildet die Grundvoraussetzung jeglichen pädagogischen
Handelns. Nun ist der Zugang zu diesen Fähigkeiten unterschiedlich verteilt:
Nicht jede/r hat die gleiche Unterstützung durch das Elternhaus und Umfeld. Auch
stehen vor dem Zugang zu den Bildungsinstanzen von Schule und nonformalen Bildungsinstitutionen
unterschiedlich hohe Hürden. Das Selbstverständnis von Jugendarbeit
war es in diesem Kontext schon immer, jedem Menschen eine Chance zu geben,
manchmal auch die zweite oder dritte. Ob das nun die Integration der männlichen
„Halbstarken“ in den fünfziger Jahren war, die Zusammenarbeit mit selbstverwalte-
ten Jugendzentren und Jugendkulturen in den siebziger und achtziger Jahren oder
die Aufgabe, türkischen oder russlanddeutschen Jugendlichen Angebote zu machen.
Jugendarbeit hat sich dabei nie verstanden als das Einüben erzieherischer Rituale, sondern
als eine respektierte Wechselbeziehung in „unterstellter gegenseitiger Mündigkeit“
(Habermas).
In dieser Traditionslinie stellt sich der Jugendarbeit aktuell die Aufgabe, Angebote für
Kinder und Jugendliche zu entwickeln , die in den letzten Jahren nach Deutschland
gekommen sind, aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlicher Bleibeperspektive,
mit häufig traumatischen Kriegs- oder Fluchterlebnissen. Dies macht die Arbeit
nicht leichter, sondern stellt uns vor neue Herausforderungen, sowohl in Bezug auf die
Flüchtlinge als auch auf die Aufnahmegesellschaft.
Wer das aktuelle Jahresprogramm des Instituts durchblättert, wird feststellen, dass eine
Reihe von Angeboten sich diesen Aufgaben widmet: sei es das Argumentationstraining
gegen Stammtischparolen, sei es eine Fortbildung zur Frage, was den Salafismus
für Jugendliche anziehend machen kann bis hin zur Zusatzausbildung „Mediation mit
dem Schwerpunkt Diversity-Konflikte“. Auch viele anderen Veranstaltungen verstehen
sich als lösungsorientierte Angebote zu Konfliktlösung, Partizipation und Demokratiebildung.
Darüber hinaus wird aber auch der Alltag in der Jugendarbeit nicht vergessen: Seminare
zu kreativen Methoden, zur Arbeit mit bestimmten Zielgruppen aber auch zu
Fragen der Selbstsorge kommen nicht zu kurz. Hinzuweisen ist besonders auf die Angebote
für die verschiedenen Berufsgruppen der Jugendarbeit in Bayern (ab S. 114),
die in enger Abstimmung mit den jeweiligen Adressaten selbst von Fortbildung zu
Fortbildung gestaltet werden und so ihren Beitrag zur Weiterentwicklung der Jugendarbeit
leisten.
Ich wünsche Ihnen viele Anregungen beim Lesen des Jahresprogramms und würde
mich – mit dem gesamten Team des Instituts – sehr freuen, Sie im kommenden Jahr
als Teilnehmende begrüßen zu dürfen.

Gauting, im September 2016

Albert Fußmann

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